Sehr geehrter Herr de Maizière,
Ich heiße Marcus John Henry Brown, wohne in München und ich bin leider in Großbritannien geboren. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: ich liebe Großbritannien. Ein Teil meines Herzens wird für immer Südwest-England (wo ich studiert habe), Schottland (Geburtsort meines Vaters) und den Cotswolds (wo Inspector Barnaby gedreht worden ist – läuft meistens auf ZDF Neo) gehören. Ich bin, vom Wesen her, Brite durch und durch. Meine Königin wird immer meine Königin sein, bis der König kommt, dann bin ich auch sein. Deutschland liebe ich aber auch. Deutschland liebe ich sehr. Deutschland ist mein Zuhause. Wenn ich Heimweh habe, dann nur nach München und nicht nach Southampton, meinem Geburtsort.
Seit 2008 durfte ich bei britischen Wahlen nicht mehr meine Stimme abgeben und das ist auch gut so. Ich habe sowieso keine Ahnung was auf der Insel abgeht und kenne die Politiker dort nicht (obwohl sich das seit dem Brexit Debakel wieder geändert hat). Wer freiwillig länger als fünfzehn Jahre im Ausland gelebt hat, hat meiner Meinung nach zurecht das Wahlrecht im Land seiner Geburt verloren. Interesse und Leidenschaft für das Herkunftsland darf man aber trotzdem zeigen, oder? Hier in Deutschland konnte ich aber auch nicht Wählen (mit der Ausnahme von Kommunalwahlen).
Das hat sich seit Anfang diesen Jahres geändert. Seit Ende 2014 gibt es für EU Bürger die Möglichkeit, die doppelte Staatsbürgerschaft zu beantragen. Das wissen Sie sicherlich. Nach einer England-Reise Anfang 2015 wurde mir klar, dass die Engländer für ein Brexit stimmen würden und dies nahm ich zum Anlass, dafür zu sorgen, endlich in Deutschland wählen zu dürfen. Nach knapp einem Jahr, am 08. Januar 2016 um genau zu sein, erhielt ich endlich die Deutsche Staatsbürgerschaft. Ich bin Neubürger.
Sie können sich vielleicht vorstellen, wie mir gestern zumute war, als ich las, dass einige Innenminister der CDU und CSU die doppelte Staatsbürgerschaft abschaffen wollen (da waren ein paar andere höchst fragliche Vorschläge dabei, aber lassen Sie uns bei der doppelten Staatsbürgerschaft bleiben).
Angeblich soll eine doppelte Staatsbürgerschaft ein „großes Integrationshindernis“ sein. Mit allem möglichen Respekt für die Herren Innenminister, diese Behauptung ist ein Schmarrn. Da Berufspolitiker wie Sie und Ihre hochgeschätzten Kollegen wahrscheinlich noch nie den bürokratischen Kraftakt der Beantragung der doppelten Staatbürgerschaft durchgemacht haben, möchte es hier kurz erläutern.
Man muss mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt haben. Egal, wie lange man hier gelebt und gearbeitet hat, muss bewiesen werden, dass man der deutschen Sprache mächtig ist. Als Beweis hierfür reichte nicht aus, dass ich z.B. zu diesem Zeitpunkt eine Kolumne für ein deutschsprachiges Magazin schrieb: ich brauchte ein B1 Zertifikat vom Goethe Institut. Dann musste ich den Einbürgerungstest bestehen. Habe ich auch gemacht und ist abgestempelt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Insgesamt musste ich vierundzwanzig einzelne Dokumente beschaffen. Dokumente über meine Firma, Steuerbescheide und meine Rente und Altersvorsorge. Auch meine Frau musste alles offenlegen. Insgesamt hat das Verfahren elf Monate gedauert und knapp ein tausend Euro gekostet (Gebühren, VHS, Übersetzungen von Dokumenten, etc).
Das Antragsverfahren ist keine Gaudi, Herr Innenminister. Die doppelte Staatsbürgerschaft beantragt man nicht, weil man es kann, sondern weil man will. Das Antragsverfahren ist so gestaltet, dass man wirklich integriert sein muss. Nicht nur um den Pass zu bekommen, sondern weil es ein formeller Teil des Integrationsprozesses ist.
Ich lebe, liebe und arbeite seit über dreiundzwanzig Jahren in Deutschland. Ich habe in deutschen Unternehmen gearbeitet und habe deutsche Unternehmen gegründet. Ich zahle deutsche Steuern, jeglicher Art. Ich mag Absolute Beginner und finde Deichkind auch ziemlich knorke. Bach habe ich immer gemocht (sowohl Dirk (wir vermissen Dich dicki) und Johann Sebastian). Ich habe eine deutsche Ex-Frau. Ich habe drei wunderbare, kluge deutsche Töchter und seit drei Jahren bin ich wieder verheiratet, mit Bernadette (Sie ahnen es schon, sie kommt auch aus Deutschland). Ich spreche hochdeutsch, hessisch und wenn ich genügend Helle vom Pschorr getrunken habe, kann ich auch a bisserl boarisch. Ist das nicht integriert genug?
Kann es sein, Herr de Maizière, dass Ihre Kollegen mich nicht gemeint haben, sondern andere? Meinen Pass wollen sie vielleicht nicht wirklich zurücknehmen? Wenn das so wäre, dann von wem und warum? Einige meiner Bekannten und Geschäftspartner behaupten, dass die Innenminister vielleicht den starken Mann raushängen lassen wollen, dass sie AfD Wähler ansprechen wollen – dass sie auf Stimmung-, und Stimmenfang sind. Ist es so? Ist es wirklich so weit gekommen, Herr de Maizière?
Können Sie diese Fragen beantworten, oder würde ein Teil Ihrer Antworten mich und die Bevölkerung verunsichern?
Hochachtungsvoll und mit doppelten Grüßen aus München,
Marcus John Henry Brown.
Anmerkung: Inzwischen hat sich Herr de Maizière vom Vorschlag seiner Unionskollegen distanziert, deshalb habe ich den Text leicht angepasst.